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Siegmund Kleinl wurde 1956 in Schützen am Gebirge geboren. Er studierte Germanistik und Theologie in Wien und ist als Professor am Gymnasium Wolfgarten und an der Pädagogischen Akademie in Eisenstadt sowie als Lektor und Autor der „edition NN oslip" tätig. Er ist Literat und Essayist und schreibt Prosa, Lyrik und Dramen. Er veröffentlicht Beiträge in Anthologien, Literatur- und Kunstzeitschriften und im ORF und publizierte auch bereits mehrere Bücher (Auswahl): Skripturen des Unbequemen. Der Künstler Wolfgang Horwath, Essay-Erzählung (edition lex liszt 12, 2006), Entscheidungsspiel. Ein Fußballdrama (edition lex liszt 12, 2008), Haydns Sprache & Haydns Erscheinung, Erzählung & Schauspiel (edition lex liszt 12, 2009), Liszts Hände. Ein symphonisches Drama (edition lex liszt 12, 2011), Schuljahre. Eine Entschuldichtung (edition marlit, 2012), Der Ring des Ringens. Eine Wagner-Trilogie (2013). Seit 1997 publiziert er auch druckgraphische Arbeiten. Zu seinen Auszeichnungen zählen der 1. Preis des Lyrik-Wettbewerbs der BEWAG (2000), der Theodor Kery - Preis für Literatur und Publizistik (2003) sowie der Landespreis des Burgenlandes für Literatur (2008).

Haydns Sprache

(Auszug)

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Haydn auf einem Spaziergang, so stellen wir uns den Meister im zweiten Satz seiner Abschiedssymphonie vor. Melodien im Ohr, die langsam wie Kutschen dahingleiten, hinaus auf das Land, Klangtrauben, die reifen wie der Wein auf den Hügeln, in den Ebenen um die dörfliche Stadt. Sein Schritt fußt auf einem gemächlichen Rhythmus der Arme wie bei Walkern, die es nicht eilig haben, der Stock aber nach oben gerichtet, als suche er in der Luft den Anstoß oder Abstoß bei jedem Schritt. Die Stadtluft, umgeben von Wiesen, Feldern und Weingärten, ist gut, wenngleich sie nicht freimacht. Sie inspiriert durch ihre unterschiedlichen Aromen die Sinne, die durch die parfümierte Atmosphäre des Konzertsaals noch angereichert werden. Zu große Intensität kann die Sinne natürlich zum Schwinden bringen. Das weiß der Meister, deshalb trägt er auch nicht zu dick auf. Stallgeruch ist den Herrschaften nicht fremd, Pferde stehen ihnen näher als Menschen, und die Landschaft, durch die der spazierende Haydn sie dirigiert, ist ein großer, englischer Park mit urwüchsigen Bäumen, schattigen Wegen und einem kleinen See zum Verweilen. 
Ein schmaler Steg windet sich zwischen aufgeführtem Felsgestein zu einem griechischen Tempel empor, in dem heimlich Liebende ihre Leidenschaft zelebrieren. Auch Haydns ist ein heimlich Liebender, wie jeder weiß, aber gemäßigt, maßvoll. Oder ist für Maria anna, seine Frau, das Maß längst voll, er weiße es nur nicht? Aufwühlend ist sein Spaziergang nicht, keine Hektik in den dirigierenden Armen, in die die eine oder andere Hofdame vielleicht genommen werden will. Aber das nimmt der Meister sich nicht heraus, beherrscht sich meisterlich, wenn auch nicht immer.
Nach jeder heftigen Aufwallung von Gefühl und Geist muss er in Ruhe einkeren in ein Landgasthaus mit gutbürgerlicher Küche. Sein Mund bewegt sich so genüsslich, als verzehre er seine fein aufbereitete Musik selbst. Schaut, welchen Ohrenschmaus ich euch da vorsetze, sagen die leicht bewegten Lippen. Traumwandlerisch dirigiert er sich durch seine eigenen Notenherden wie ein Hirt, der, umgeben von seinen Schafen, sie sicher führt. Und sie gehorchen ihm Fuß für Schritt bis in die Zehen- und Fingerspitzen. Dieses Fingerspitzengefühl für eine emotionale Spannung ohne Handlung, die den Körper umgrieft wie ein Thermalbad! Als nehme der zweite Satz der Symphonie die Kur schon vorweg, auf die Haydn sich begeben wird nach seiner Rückkehr aus Eserhaza. Ein Schwefelbad wird ihn von den durch ein ÜBermaß an Arbeit gegen seinen Leib begangenen Sünden reinigen. Das Gewicht seiner Persönlichkeit richtet ihn auf und beugt ihn zugleich. Man sieht ihm die Last nur leicht an. Er überspielt sie durch entspannende Akkorde. So geht es, geht er dahin, ohne sich von der Stelle zu bewegen, von der Stellung, die er innehat.
Er hat es in sich, in seiner Musik, durch Verlagnsamung des Tempos die emotionale Intelligenz zu beschleunigen. Die leichte Vorgebeugtheit seiner dirigierenden Haltung ist eine Verbeugung vor der Musik, nicht vor der hofgesellschaft, der er den Rücken zukehrt. Sie würde ihm wie gewohnt mit Applaus in den Rücken fallen, wenn er sich am Ende nicht rechtzeitig dem Publikum zuwendete, vorbeugend sich verbeugend, damit seiner Kunst nicht Überheblichkeit vorgeworfen wird. Rücklings zum Publikum aber nimmt er keine Rücksicht auf das Mienenspiel rücksichtloser Kunstbanausen, das Fadesse oder gähnende Müdigkeit signalisiert, lässt er sich auch nicht von einem Schnarchen irritieren, das sein absolutes Gehör beleidigt.
Standhaft geht er auf der Stelle seinen kontepmlativen Spaziergang zu Ende, ehe er durch ein flottes Menuett die passive Zuhörerschaft aktiviert.
 
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Aus dem Buch: 
Erzählung
© edition lex liszt 12, 2009 

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