michaela-fruehstueck
Michaela Frühstück wurde am 31. Oktober 1971 an der österreichisch-ungarischen Grenze in Deutschkreutz (Bezirk Oberpullendorf) geboren und lebt im Burgenland, wie die meisten Figuren ihrer tragikomischen Geschichten. Sie studierte Spanisch und Medienfächer in Graz und publizierte in dieser Zeit erste Erzählungen und ein Hörspiel. Mehrere längere Studienaufenthalte führten sie nach Spanien. Seit 1997 arbeitet die Autorin und Kulturjournalistin als Redakteurin im ORF Landesstudio Burgenland. Seit 1994 veröffentlicht sie im Rundfunk und in Anthologien. 2012 absolvierte sie einen Stipendienaufenthalt im Künstleratelier Paliano. Im selben Jahr erschien ihr Romandebut „Teta Jelka überfährt ein Huhn Hendl“ in der edition lex liszt 12.
Weitere Beiträge (Auswahl): Va Apetlon bis Zuberboch – Buchstobm fias Burgenland, Gedichte, gemeinsam mit David Stifter (ORF, 1994), Finisterre. Neverland, in: Hans Wetzelsdorfer: burgenland authentisch (edition lex liszt 12, 2011), Das Allerwichtigste ist das Sackerl mit der Plüschdecke, in: Vera Sebauer (Hg): Reisebuch Burgenland (edition marlit, 2014).

Teta Jelka überfährt ein Huhn Hendl 

(Auszug) 
 
Der Tag, an dem Jelka das Hendl überfährt, ist gar kein Tag, sondern eine Nacht. Jelka fährt mit dem Fahrrad ohne zu schauen und mit einem eleganten Slivovicschwung vom Palatinwirtshaus weg und sieht nicht, dass Viktorija gerade die Straße überquert. Es wird ein glatter über das recht Hendlhaxldrüberfahrer, und davon wird man auch noch Jahre später etwas haben, denn als das Hendl Viktorija in der Suppe kocht, seufzt der Koch in den Suppentopf hinein, weil vom rechten Viktorija-Haxerl zwei Zehen fehlen. An dem Tag, an dem Nacht war, springt Jelka vom Fahrrad und dem fliehenden Unfallopfer nach. Sie erwischt das Hendl am Flügel und trägt es nach Hause. Das Fahrrad bleibt liegen. In dieser Nacht und in fast allen die folgen, schläft Viktorija neben Jelkas Bett. Der Tag, an dem Nacht war, ist der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Einer Freundschaft, die genau 18 Jahre und zwei Tage dauert. Am dritten Tag ist es, an dem der Koch in den Suppentopf seufzt, weil Viktorija mit minus zwei Zehen, aber dafür mit wirklich scharfem Paprika ins Vergessen schwimmt.
 
...
 
Achtzehn Jahre und drei Tage nach Jelkas Fahrradunfall wird Jakov, genannt nur Jakov, mit sehr lauten Seufzern und siebenundfünfzig einzelnen Tränen Viktorija rupfen und ausnehmen und in den Suppentopf legen. Dass man sie mit wirklich viel scharfem Paprika und siebenundfünfzig Tränen auf die Reise ins Vergessen schicken muss, weiß er von Don Stipfe, der jeden Tag, außer an manchem Sonntag, bei Jakov zu Mittag ist. 
An diesem Freitagvormittag aber weiß Jakov noch nichts davon. Gerade erst ist Viktorija überfahren worden und schläft noch slovivicverträumt neben Jelkas Bett. Jakov bemerkt, dass sich der Sommer zum ersten Mal in diesem Jahr wie eine in vielen Stunden und ohne Eile bestickte samtene Decke über Mjenovo legt. Viele und vielzuwenige Wochen lang wird sie über dem Dorf liegen. Erst wenn sie schon brüchig wird und durchlässig, wird jemand sie an einem Ende ganz behutsam nehmen und sie hinter sich herziehen, wird Mjenovo den Sommer ausziehen, so wie man einer alten Frau im Herbst das warme Tuch um die Schultern legt. Über Jakovs versonnene Sommerbeobachtung legt sich Jelkas Stimme. „Irgendjemand hat heute schon die in vielen Stunden und ohne Eile bestickte samtene Decke über Mjenovo gelegt“, sagt Jelka und Jakov begrüßt sie mit, leider nur gedachten, nach seiner Küche duftenden Umarmungen. 
 
...
 
Aus dem Buch: 
Roman 
© edition lex liszt 12, 2012
(2. Aufl. 2013)

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