Raoul Eisele wurde 1991 in Eisenstadt geboren, wohnt in Wien. Studium der Germanistik und der Komparatistik. Sein Debüt gab er mit dem Lyrikband morgen glätten wir träume, Edition Yara, 2017. Weitere Veröffentlichungen in Literaturmagazinen sowie Anthologien finden sich u. a. in Rampe, Prolog, Ostragehege, Zwischenwelt, wo warn wir? ach ja: Junge östereichische Gegenwartslyrik, Limbus Verlag, 2019, Jahrbuch der Lyrik, Verlag Schöffling & Co, 2020. 2019 wurde er neben dem Lyrikpreis der Energie Burgenland (1. Platz) auch mit dem Lyrikpreis der Lecher Literaturtage (2. Platz) sowie dem Nordhessischen Autorenpreis (3. Platz) ausgezeichnet. Aufenthalte als Artist in Residence hatte er in der Südtiroler Gemeinde Ritten 2017/2019, Ljubljana/Piran 2018 und Salzburg 2020. Seit 2020 ist Raoul Eisele, neben Martin Peichl, Mitbegründer der Lesereihe „Mondmeer und Marguérite“.
vom Fliedern
habe polare Vogelnatur
in mein Leporello geschrieben
dort wo meine noch zu entdeckenden Wörter
alphabetisch gelistet
in Mayröcker-Variationen stehen
hie und da in Strophen gesetzt
hie und da nur bruchstückhaft
bis ich meine Lieblinge schüttle
und sie wie verblühte Lilien weiß zu fallen wissen
ich habe dir geschworen nicht mehr wasserfest zu sein
habe dir versprochen alle Dichtung zu lockern
und mich lose gleich gefedert
dem Teer zu entziehen immer dann
wenn Stürme wallen
und unser Ungestüm-sein-Können
fliegt
manchmal entrückt sich meine Sprache
wirkt schüchtern und hüpft
kindlich durch Pfützen im Sommer
im Winter durch Schnee
zieht im Schwarm Linien
durch umwölkte Gipfel und will
im Faltschlaf ruhen
Aussichten
du erklärst mir die Wüste
erzählst mir vom Krieg und ich stelle mir
deine Landschaften vor
deine Innenwelt
höre deinen Dschungel dein Schneefeld
deine Herzblumen im Osten pochen
und das schmale Treppenhaus dein Plattenbau
unter deinen sieben Nachtkleidern
strafft deine Haut du Kaltblüterin
du Siebenhautwäsche-Mensch und nur deine Füße
sind nackt in meinem Kopf
in dem du spazierst
Wanderwege setzt und rot markierst
damit ich mich zurechtfinde
Orientierung in meinen eigenen Gedanken bekomme
und du mich atmen lässt
so nebenbei wenn es gewittert
und wir zählen die Luftblasen unter der Eisdecke
zählen schon über die Tausend hinaus
verschätzen uns im Wettstreit ohne Kantersieg
ein Stolperstein ein Lawinengeröll
wenn du meinen Kopf wie eine Schneekugel schüttelst
und wir uns im borealen Gebiet
verloren finden
aus dem Buch:
Junge Literatur Burgenland
Sanja Abramović - Raoul Eisele - Bea Schmiedl - Daniel Stögerer
Band 4
Hg.: © edition lex liszt 12, 2020