(Auszug)

Die Bohnensuppe und ein selbst gefischtes Zanderfilet, gepaart mit einem eiskalten Glas Wasser, ließen Andrej die Welt endlich wieder klarer sehen, das durchgehende Gefühl des Martyriums verzog sich wie eine Wolkendecke nach einem Gewitter, und als er und der Mann nach ein paar Stunden auch noch eine ganze Flasche Rotwein, von der der Mann sagte, sie sei besonders wertvoll, hinuntergespült hatten, lockerte sich endlich auch die etwas angespannte Stimmung und wurde, so wie es der Alkohol mit sich bringt, von einem ekstatischen, jedoch später nostalgisch sentimentalen Zustand verdrängt.
„Wieso hast du mich heute gefragt, ob ich einsam bin?“
„Ich erkenne die Probleme der Menschen, dein Fehler ist nur die Tatsache, dass es dir nahezugehen scheint.“
„Aber ich schätze keine Einsamkeit, ich brauche jemanden, sei er noch so widerwärtig.“
„Bist du sicher, dass du es dir nicht einfach einredest.“
Der Mann stand auf, ging aus der spartanisch eingerichteten Stube hinaus und kam nach ungefähr einer Minute mit einem Bild, auf dem eine schwächlich wirkende Frau mit langen braunen Haaren zu erblicken war, zurück, er legte es auf den Tisch und schob es zu Andrej.
„Das letzte Bild meiner Frau.“
„Wie ist sie gestorben?“ Andrej war überrascht, doch ließ es sich nicht anmerken.
„Darmkrebs.“
„Welch schlimmes Schicksal.“
Weinend sank der alte Mann auf seinen Stuhl nieder. „Sie ist seit vierzig Jahren tot und seitdem befinde ich mich in einem konstanten Zustand der Trauer.“ Die Tränen des Mannes wurden nun kräftiger und glichen den Strömen der Niagarafälle, dazu kam ein Schluchzen, das ihn nun endgültig zu einem bemitleidenswerten Häufchen Elend machte.
„Ich werde hierbleiben, solange wie nötig“, sagte Andrej und nahm die Hand des Alten.

aus dem Buch:

Junge Literatur Burgenland

Sarah Estermann, David Hoffmann, Magdalena Hutter, Benito Trummer
Band 5
ISBN: 978-3-99016-205-7
Hg.: edition lex liszt 12, 2021