draxler
© Christian Ringbauer

Isabella Draxler wurde 1985 in Oberwart geboren, lebt in Wien. Sie studierte Germanistik, Psychologie, Philosophie und Politikwissenschaft in Wien und arbeitete als AHS-Lehrerin. Derzeit nimmt sie am Diplomlehrgang der Diplomatischen Akademie teil. Isabella Draxler ist seit ihrer Jugend literarisch tätig, schreibt vor allem Kurzprosa und Lyrik. Im Entstehen ist ein Erzählzyklus zu den Themen Unterwegs sein und Verschwinden. Shortlist beim ORF-Literaturwettbewerb Textfunken 2018.

Der Hutzwilling (Auszug)

Zu dieser Zeit im Jahr ist man nie richtig angezogen oder immer am falschen Ort. Ist es draußen kalt, ist es drinnen zu warm. Ist es drinnen angenehm, schlottern draußen die Knie. Besonders deutlich wird dieses Ungleichgewicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln, vor allem in der U-Bahn zu den Stoßzeiten. Auch Martin waren der Wollschal, der Mantel und der Hut, Modell Altherrenhut, eigentlich zu warm und Schweißtropfen sammelten sich bereits am Hutrand im Nacken. „Ekelhaft“, dachte er, die Hitze kam von ganz innen. „Ich muss etwas ausziehen, nach der nächsten Station, da steigen sicherlich Leute aus.“ Daraus wurde nichts. War es schon dem Vorweihnachtseinkaufwahnsinn zu verdanken? Noch mehr Leute in noch dickeren Daunenjacken und Strickhauben in Neonfarben stiegen ein. „Zumindest den Hut, den muss ich kurz loswerden.“ War da schon eine Schweißperle den Rücken hinuntergeronnen? Der Moment, an dem die Frisur noch nicht gelitten hat, war versäumt. Egal, weg mit diesem grauenhaften Kopfdeckel. Ein kurzer Schauer noch – wie viele Schweißperlen hatten es nicht den Rücken hinuntergeschafft und hatten ihre letzte Ruhestätte im Filzstoff gefunden? Dieser Hut war eine Gedenkstätte für Momente, in denen sich sein Träger unwohl gefühlt hatte. „Die anderen Leute fragen sich sicher schon, warum ich ihn nicht abnehme ... Lacht diese Gruppe von Jugendlichen dort über mich?“ Es waren noch zu viele Stationen bis nach Hause, das Problem auszusitzen war keine Alternative. Immerhin war die Kopfbedeckung das Teil seiner Kleidung, dem er sich am leichtesten entledigen konnte. Der dicke, grobgestrickte Schal umschlang seinen Hals in unzähligen Windungen. „Da komme ich so schnell nicht heraus“, ganz zu schweigen vom dicken Mantel, der mit sage und schreibe acht Knöpfen, bei denen auch noch die Knopflöcher – von einem perfiden Schneider geplant – gerade um dieses Stückchen zu klein sind, beim An- und Ausziehen zu einem einzigen Ärgernis wird. Also dann, weg mit dem Hut.

aus dem Buch:
Junge Literatur Burgenland
Isabella Draxler - Dominic Horinek - Julia Lückl - Philipp Velich
Band 3
Hg.: © edition lex liszt 12, 2019

cover_

Zum Seitenanfang
Literaturweg und Literaturtage in Kohfidisch literaturweg.at