Foto © Sascha Behr

Lisa Bolyos wurde 1980 in Wien geboren, ist Journalistin und bildende Künstlerin und aktiv in transnationalen Klima- und Solidaritätsbewegungen. Sie arbeitet als Redakteurin bei der Wiener Straßenzeitung Augustin und betreibt im Kollektiv das Wohn, Kultur- und Landwirtschaftsprojekt Mühle Nikitsch im Burgenland. Sie veröffentlichte u. a. die Sachbücher: „Mich hat nicht gewundert, dass sie auf Mädchen steht. Gespräche mit Eltern queerer Kinder“ (2021) und „Immo Grief. Für eine kollektive Kultur des Trauerns um ein Zuhause“ (2022). Für ihre Kurzgeschichte „Grenzbubenprotokolle“wurde sie 2022 mit dem Goldenen Kleeblatt gegen Gewalt (3. Platz) ausgezeichnet. lisabolyos.net

 

Wir helfen gerne

(Auszug)

 

Wenn Tanja jetzt in ihrer Wohnung, es ist immer noch dieselbe, aufwacht, in der Früh oder nach Feierabend nach Hause kommt, ist sie im Großen und Ganzen zufrieden. Die Wohnung ist gut eingerichtet, manchmal stellt Tanja das Bett um, weil sie schlecht schläft, das schafft sie alleine, und ins Wohnzimmer fällt am Vormittag die Sonne, das ist schön und untypisch für diesen Stadtteil, wo die Gassen eng sind und die Häuser hoch. Tanja hat ganz nette Nachbar:- innen, ober ihr eine sehr alte Frau, die manchmal Hilfe beim Müllruntertragen braucht oder beim Sachenrauftragen, wenn der Lift kaputt ist oder nicht kommt, was weiß man warum, der Lift ist neu und die Lichtschranken reagieren auf jede Kleinigkeit, man muss nur ein leeres Zigarettenpackerl oder einen Notizzettel auf die Türschienen legen, schon gehen sie nicht mehr zu und der Lift kommt nicht, wenn die Nachbarin ihn braucht, und Tanja ist hilfsbereit genug, ihr die Sachen raufzutragen und reinzutragen in die Wohnung und ist auch bereit, sie in die Küche zu tragen, schnell in den Kühlschrank geschlichtet, die Nudeln in die Lade, Tanja kennt sich schon ein bisschen aus hier, weil sie öfter hilft, die Nachbarin ist noch beim Jackeaufhängen, da ruft Tanja entsetzt aus, Ihr Herd!, und die Nachbarin kommt mit möglichst schnellen Schritten, aber sehr schnell ist sie nicht mehr, in die Küche, sie fragt, was ist mit meinem Herd?, und ihre Stimme zittert ein bisschen, weil sie nervös ist oder weil die Stimmbänder alt sind und ausgeleiert, oder beides, und Tanja sagt, ich hab schon abgeschaltet, ich glaub, Sie haben ihn vorm Einkaufen vergessen, aber es ist nichts angebrannt, kann ja mal passieren, und die Nachbarin wundert sich, weil was hat sie vorm Einkaufen gekocht, nichts, aber so ist es, alt zu werden, und sie drückt der Tanja dann beim Gehen einen Zehner in die Hand, und Tanja winkt ab, nicht mit großer Geste, nur aus den Fingerknöcheln, nicht aus dem Handgelenk oder gar aus dem Ellenbogen raus, mehr so als würde man eine Motte lebend fangen wollen, das ist doch selbstverständlich als Nachbarin, und sie legt den Zehner auf die Kommode neben der Tür.

 

 

Junge Literatur Burgenland

Anna Bauer, Lisa Bolyos, Kerstin Istvanits, Bernadette Németh
Band 7
ISBN: 978-3-99016-254-5

Hg.: edition lex liszt 12, 2023 

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