 © 2020 Bernadette Covi
© 2020 Bernadette Covi
Raoul Eisele wurde 1991 in Eisenstadt geboren, wohnt in Wien. Studium der Germanistik und der Komparatistik. Sein Debüt gab er mit dem Lyrikband morgen glätten wir träume, Edition Yara, 2017. Weitere Veröffentlichungen in Literaturmagazinen sowie Anthologien finden sich u. a. in Rampe, Prolog, Ostragehege, Zwischenwelt, wo warn wir? ach ja: Junge östereichische Gegenwartslyrik, Limbus Verlag, 2019, Jahrbuch der Lyrik, Verlag Schöffling & Co, 2020. 2019 wurde er neben dem Lyrikpreis der Energie Burgenland (1. Platz) auch mit dem Lyrikpreis der Lecher Literaturtage (2. Platz) sowie dem Nordhessischen Autorenpreis (3. Platz) ausgezeichnet. Aufenthalte als Artist in Residence hatte er in der Südtiroler Gemeinde Ritten 2017/2019, Ljubljana/Piran 2018 und Salzburg 2020. Seit 2020 ist Raoul Eisele, neben Martin Peichl, Mitbegründer der Lesereihe „Mondmeer und Marguérite“.
vom Fliedern
habe polare Vogelnatur
  in mein Leporello geschrieben
in mein Leporello geschrieben
 dort wo meine noch zu entdeckenden Wörter
 alphabetisch gelistet
 in Mayröcker-Variationen stehen
 hie und da in Strophen gesetzt
 hie und da nur bruchstückhaft
 bis ich meine Lieblinge schüttle
 und sie wie verblühte Lilien weiß zu fallen wissen
ich habe dir geschworen nicht mehr wasserfest zu sein
 habe dir versprochen alle Dichtung zu lockern
 und mich lose gleich gefedert
 dem Teer zu entziehen immer dann
 wenn Stürme wallen
 und unser Ungestüm-sein-Können
 fliegt
manchmal entrückt sich meine Sprache
 wirkt schüchtern und hüpft
 kindlich durch Pfützen im Sommer
 im Winter durch Schnee
 zieht im Schwarm Linien
 durch umwölkte Gipfel und will
 im Faltschlaf ruhen
Aussichten
du erklärst mir die Wüste
 erzählst mir vom Krieg und ich stelle mir
 deine Landschaften vor
 deine Innenwelt
 höre deinen Dschungel dein Schneefeld
 deine Herzblumen im Osten pochen
 und das schmale Treppenhaus dein Plattenbau
unter deinen sieben Nachtkleidern
 strafft deine Haut du Kaltblüterin
 du Siebenhautwäsche-Mensch und nur deine Füße
 sind nackt in meinem Kopf
 in dem du spazierst
 Wanderwege setzt und rot markierst
 damit ich mich zurechtfinde
 Orientierung in meinen eigenen Gedanken bekomme
 und du mich atmen lässt
 so nebenbei wenn es gewittert
 und wir zählen die Luftblasen unter der Eisdecke
 zählen schon über die Tausend hinaus
 verschätzen uns im Wettstreit ohne Kantersieg
 ein Stolperstein ein Lawinengeröll
 wenn du meinen Kopf wie eine Schneekugel schüttelst
 und wir uns im borealen Gebiet
 verloren finden
aus dem Buch:
 Junge Literatur Burgenland
 Sanja Abramović - Raoul Eisele - Bea Schmiedl - Daniel Stögerer
 Band 4
 Hg.: © edition lex liszt 12, 2020
